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Stellungnahme zur Beratung über die Petition „Zukunft sichern: Jugendarbeit vor Ort retten!“ im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration

Am 30.09 2020 wurde im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration des Landtags Sachsen-Anhalt über die Petition „Zukunft sichern: Jugendarbeit vor Ort retten!“ beraten. 

Im Hinblick auf die Situation der Kinder- und Jugendarbeit in den Landkreisen und kreisfreien Städten in Sachsen-Anhalt, die sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert hat, fordert die Petition: 

  • drei Millionen Euro zusätzlich für die kommunale Jugendarbeit im Landeshaushalt bereitzustellen, insb. zur Absicherung bisheriger Angebote, für Investitionen in Einrichtungen und zur Unterstützung des ländlichen Raums;  
  • dynamischer Anstieg der Jugendförderung um 2,5 % jährlich zur Wertschätzung der Fachkräfte;  
  • die Einführung eines Flächenfaktors, um den besonderen Bedingungen von ländlichen Räumen endlich Rechnung zu tragen. 

Wesentliche Forderungen dieser Petition wurden bisher nicht erfüllt. In der heutigen Beratung im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Integration hat dieser Umstand jedoch keine angemessene Würdigung erhalten. Stattdessen wurde die Petition als weitgehend erledigt abgetan. Die schriftliche Stellungnahme des Ausschusses an den Petitionsausschuss liegt noch nicht vor, aber wir haben die öffentliche Beratung im Landtag verfolgt und nehmen dazu wie folgt Stellung. 

Dynamischer Anstieg der Jugendförderung §31 KJHG-LSA 

Mit Blick auf die Forderungen zum dynamischen Anstieg der Jugendförderung, um langfristig eine tarifgerechte Bezahlung von Fachkräften zu ermöglichen, verwies das Ministerium auf die bereits bestehende jährliche Erhöhung der angesetzten Mittel. Der Ausschuss folgte dieser Einschätzung. 

  • Zwar erfolgte, wie das Ministerium feststellte, 2018 eine Dynamisierung der im §31 KJHG-LSA festgeschriebenen Höhe der Jugendförderung um jährlich 2%, diese ist jedoch nicht ausreichend, um eine tarifliche Bezahlung der Fachkräfte in der Jugend- und Jugendverbandsarbeit langfristig zu ermöglichen. Dies Problematik wird bereits in der Petition deutlich angesprochen. 
  • Um den gestiegenen Entgelten der Tarife (SuE oder VKA) Rechnung zu tragen, müsste eine Dynamisierung der Jugendförderung mindestens 2,45% betragen. Im Hinblick auf die vergleichsweise schlechten Rahmenbedingungen im Bereich der sozialen Arbeit und dem sich abzeichnenden Fachkräfteengpass ist jedoch davon auszugehen, dass die tariflichen Abschlüsse hier mittel- bis langfristig höher ausfallen.  
  • Genau deshalb fordert die Petition eine Erhöhung der 2018 erfolgten Dynamisierung der Jugendförderung nach §31 KJHG-LSA um weitere 0,5 %. Von Seiten des Ministeriums hieß es heute aber, dass die Forderung der Petition durch die 2018 erfolgte Dynamisierung bereits weitgehend umgesetzt worden wäre. Eben dem ist nicht so. Es ist nicht hinzunehmen, dass der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration diese zentrale Forderung der Petition mit einem Verweis auf den Status quo als erledigt betrachtet. Der KJR LSA wird sich daher weiterhin für eine gesteigerte Dynamisierung einsetzen. 
  • Weiterhin ist bisher völlig unklar, wie das Landesjugendamt als Zuwendungsbehörde überprüfen will, ob und in welcher Form die Steigerungen in der Förderung für Tarifanpassungen durch die Landkreise verwendet werden. Im Zweifel kann ein Landkreis, trotz Steigerungen im Gesamttopf, aufgrund des ausschließlich demografisch basierten Verteilungsschlüssels, zukünftig sogar weniger Mittel durch das Land erhalten als bisher.

Wir stellen daher fest, dass diese Regelungen weitreichend undurchdacht sind und einer zügigen Überarbeitung unterzogen werden müssen. Es ist auch zeitnah zu überprüfen, wie in den Landkreisen und kreisfreien Städten mit der Bindung der Steigerungen an die Fachkräftefinanzierung im Jahr 2019 und 2020 umgegangen wurde

Einführung eines Flächenfaktors 

Im Hinblick auf die Einführung eines Flächenfaktors für die Verteilung der Jugendförderung, der notwendig ist, um den besonderen Bedingungen von ländlichen Räumen endlich Rechnung zu tragen, wurde weitgehend Verständnis im Ausschuss signalisiert und auch deutlich gemacht, dass man weitere Verteilungskriterien diskutieren müsse. Der Ausschuss folgte dem Ministerium und verwies auf zukünftige Diskussionen im Rahmen des geplanten jugendpolitischen Programms für das Land Sachsen-Anhalt, innerhalb dessen diese Forderung erneut aufgegriffen werden könne. 

  • Wir können diese Verzögerungen allerdings nicht nachvollziehen. Schon seitdem die Förderung und die Verteilungsmechanismen im §31 KJHG-LSA verankert wurden, setzen wir uns für eine angemessene Verteilung der Mittel ein. In der Petition machten wir diesen Punkt daher erneut stark.  
  • Die Forderung nach einem Flächenfaktor für die Verteilung der Jugendförderung bezieht sich zunächst auf die Erhaltung von Strukturen der Jugendarbeit vor Ort in Landkreisen und Kommunen. Durch den bisherigen Verteilungsschlüssel, der sich ausschließlich an dem (Kinder- und Jugendlichen-)Bevölkerungsanteil bemisst, wird es gerade im ländlichen und peripher-ländlichen Raum mit einer sich stark verringernden Anzahl an Kindern und Jugendlichen (u. a. Landkreis Harz) als auch in sehr weiträumigen Landkreisen (u. a. Landkreis Stendal) schwierig, Angebote und Einrichtungen der Jugendarbeit aufrecht zu erhalten.  

Wir fordern daher weiterhin eine schnelle und fachlich fundierte Reformierung der Verteilungsregelungen. Wir sind dabei auch offen für weitere Faktoren, die die Verteilung angemessener auf die Situation vor Ort ausrichten. 

Azubi-Ticket und Jugendarbeit 

Von Seiten des Ministeriums wurde angeführt, dass die geplante Einführung eines Azubi-Tickets im Januar 2021 bereits zu einer Verbesserung der Situation der Jugendarbeit im ländlichen Raum beitragen würde. Der Ausschuss folgte dieser Einschätzung. Wir können dies absolut nicht nachvollziehen und äußern hiermit unser Unverständnis über diese Argumentationslinie. 

  • Die Einführung eines Azubi-Tickets, welches vielen Tausend Auszubildenden ermöglichen wird ab Januar kostengünstiger Bus, Bahn und Straßenbahn zu fahren, ist auch aus Sicht des KJR mehr als zu begrüßen. Das Ticket verbessert grundsätzlich die Lebenssituation von jungen Menschen in einer dualen oder vollschulischen Ausbildung, da dadurch die Mobilität deutlich verbessert wird, eine spürbare Kostenentlastung für junge Menschen entsteht und die Attraktivität der Ausbildung gesteigert wird.  
  • Eine höhere Mobilität von Jugendlichen, durch das Azubi-Ticket, kann dabei zwar theoretisch zu einer besseren Erreichbarkeit von Angeboten der Jugendarbeit beitragen, hilft aber kaum, wenn Angebote im ländlichen Raum gar nicht mehr zur Verfügung stehen.
  • Das Azubi-Ticket ist nur die Antwort der Landesregierung auf das Problem, dass Auszubildende weite Strecken, hohe Kosten und lange Fahrtzeiten in Kauf nehmen müssen, um Betrieb und Berufsschule zu erreichen. Auszubildende haben dabei, wie auch viele andere junge Menschen, mit einer starken zeitlichen Verdichtung ihrer Lebenswelt zu kämpfen. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass die profitierenden jungen Menschen nun Zeit haben Angebote der Jugend(verbands)arbeit aufzusuchen, die weiter entfernt liegen und nicht wohnortnah zur Verfügung gestellt werden. 
  • Zudem ist anzumerken, dass junge Auszubildende nur einen Teil der ehrenamtlich Aktiven und Teilnehmer*innen von Angeboten der Jugendarbeit ausmachen. Mit Blick auf den Demografiebericht für Sachsen-Anhalt ist festzustellen, dass ländliche Räume für Jugendliche zwischen 18 bis 24, die eine Ausbildung oder Studium beginnen, tendenziell als Abwanderungsregionen gelten, während die kreisfreien Städte in dieser Altersgruppe Wanderungsgewinne verbuchen können. Dieser Umstand trägt noch einmal zu der Einschätzung bei, dass gerade im ländlichen Raum kaum eine Verbesserung der Rahmenbedingungen der Jugendarbeit, durch die Einführung des Azubi-Tickets zu erwarten ist. 

Zusammenfassend stellen wir fest das diese Einschätzung des Ausschusses fachlich keine Grundlage hat und eher dem Versuch gleicht, dem Petenten weiß zu machen, die Landesregierung hätte zentrale Probleme, die die Petition benennt, gelöst. Die prekäre Situation der Jugendarbeit im ländlichen Raum erfährt dadurch längst keine hinreichende Verbesserung. 

Mehr Geld im §31 KJHG-LSA 

Als letztes müssen wir feststellen, dass über die Forderung der Petition, drei Millionen Euro zusätzlich für die kommunale Jugendarbeit im Landeshaushalt bereitzustellen, in der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Integration nur am Rand geredet wurde. Mit Verweis auf die Haushaltsbeschlüsse wurde angemerkt, dass es nun unrealistisch sei, eine Steigerung der Förderung durchzusetzen. 

  • Die Forderung nach drei Millionen Euro zusätzlich für die Jugendarbeit halten wir aber nach wie vor für aktuell, da der gesamte Bereich der Leistungen der §§ 11 – 14 SGB VIII, insbesondere im ländlichen Bereich über Jahre hinweg Kürzungen erfahren hat. Der Evaluationsbericht zur Umsetzung des §31 KJHG LSA, wie auch unsere Analysen und Gespräche mit Fachkräften der örtlichen Ebene zeigen ein klares Bild: Die Arbeit in den Leistungsbereichen ist vielerorts prekär und eine Planungssicherheit ist nicht gegeben. Zudem ist ein flächendeckender Fachkräftemangel zu verzeichnen, da viele Kolleg*innen das Arbeitsfeld verlassen oder vor dem Ruhestand stehen. Kostensteigerungen müssen oft durch die Träger selbst gestemmt werden und die tarifliche Bezahlung der Fachkräfte ist nicht flächendeckend sichergestellt. In den letzten Jahren mussten wir auch regelmäßig Meldungen über Einrichtungsschließungen oder Kürzungen in den Landkreisen zur Kenntnis nehmen. 
  • In Bezug auf unsere Forderung einer deutlichen Erhöhung der Förderung verweist die Landesregierung regelmäßig auf die Zuständigkeit der örtlichen Ebene im Rahmen der Planungs- und Finanzierungsverantwortung sowie darauf, dass Geld die Probleme nicht allein lösen kann und dass es gut sei, dass das Land sich gesetzlich geregelt in hohem Umfang an der Finanzierung beteiligt. Der KJR ist sich der rechtlichen Lage dabei durchaus bewusst, verweist aber auf die gewachsene Finanzierungssystematik, die in Sachsen-Anhalt in gemeinsamer Verantwortung von Trägern, Kommunen, Landkreisen und dem Land realisiert wird. In Anbetracht der prekären Lage würde mehr Geld im System die Lage durchaus stabilisieren und uns Zeit verschaffen auch weitere fachliche Probleme in Angriff zu nehmen. Es gibt, wie derzeit im Landkreis Mansfeld Südharz zu beobachten, einige wunde Punkte in der Fördersystematik, aber auch in der Argumentation der Landesregierung. 
  • Zu nennen wären dabei die Haushaltslage der Landkreise und der Kommunen sowie regelmäßige Spar-/Konsolidierungshaushalte, die den Rotstift bei der Jugendförderung ansetzen. Dies geschieht auf unterschiedlichen Ebenen, auch in Verantwortung der zuständigen Kommunalaufsichten. Weiterhin bereitet der Jugendförderung die Finanzierungssystematik in den Landkreisen große Probleme, da Kommunen erfolgreich die Kreisumlageregelungen angreifen und somit dem Landkreis Einnahmen fehlen, um landkreisweit Angebote zu finanzieren. Darüber hinaus zeigt auch der Evaluationsbericht des §31 KJHG-LSA deutlich auf, dass die Jugendhilfeplanung in den Landkreisen überwiegend in den Kinderschuhen steckt. Und das, wie wir anmerken wollen, nach 30 Jahren SGB VIII. Regelmäßig stellen wir fest, dass auch keine bedarfsermittelnde Verzahnung mit den Haushaltsaufstellungen in den Landkreisen stattfindet.  

Zusammenfassend machen wir als KJR deutlich, dass diese Probleme angegangen werden müssen und das schnell. Mehr Geld im System sorgt für Stabilisierung und erhöht die Planungs- und Handlungssicherheit der Angebote §§11-14 SGB VIII, die am Ende die Lebenslagen junger Menschen im ganzen Land positiv beeinflussen. Die weiteren Probleme müssen zeitgleich angegangen werden. 

Abschlussbemerkung 

Am Ende der Beratung über die Petition stand die Empfehlung, dem Petitionsausschuss des Landtags mitzuteilen, dass sich umfangreich mit der Thematik auseinandergesetzt wurde und Anpassungen der Jugendförderung an die Tarifbestimmungen bereits umgesetzt wurden. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Aus den hier aufgeführten Gründen können wir diese Einschätzung des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Integration nicht teilen. Aus fachlicher Perspektive erlebten wir die Beratung über die Petition als Enttäuschung. 

Aus politischer Sicht stellen wir fest, dass die Regierungskoalition die Möglichkeit hatte im Haushalt 2020/21 entsprechende Weichen zu stellen. Wir haben die Expertisen dazu geliefert und viele Gespräche geführt. Am Ende müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die regierungstragenden Fraktionen schlichtweg nicht den politischen Willen hatten, die Situation und Handlungsfähigkeit der Jugendarbeit zu verbessern. 

Der KJR wird sich natürlich auch in Zukunft dafür einsetzen die Lage der Jugendarbeit in Sachsen-Anhalt zu verbessern. Sowohl unter fachlichen Gesichtspunkten, wie auch im Rahmen der Finanzierungssystematik. 


Die Petition Zukunft sichern: Jugendarbeit vor Ort retten!“ wurde vom Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt e.V. in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der Kreiskinder- und Jugendringe und Stadtjugendringe, dem Landesjugendwerk der AWO Sachsen-Anhalt e.V., der DGB-Jugend Sachsen-Anhalt, dem Deutschen Roten Kreuz Landesverband Sachsen-Anhalt e.V., der Evangelischen Jugend der EKM, dem bund evangelische jugend mitteldeutschland und Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt (Professor für Soziale Arbeit an der FH-Magdeburg-Stendal) gestartet. 
Link zur Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/zukunft-sichern-jugendarbeit-vor-ort-retten 

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