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Jugenden

Bild und Wirklichkeit der “Jugend”

bedrohliche Jugend

Über “die Jugend” und insbesondere “die Jugend von heute” gibt es einen Haufen wenig schmeichelhafter Urteile. Doch kann man überhaupt sinnvoll von “der Jugend” sprechen?

“Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte. Die Jugend steht nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widerspricht den Eltern und tyrannisiert die Lehrer.”

Sokrates zugeschrieben

Schon vor fast 2.500 Jahren soll sich der griechische Philosoph Sokrates – dem selbst vorgeworfen wurde, die Jugend zu verderben – mit diesen Worten über die “Jugend von heute” ausgelassen haben. Auch wenn heute klar ist, dass das Zitat nicht von Sokrates stammt, sondern ihm bloß in einer Dissertation zugeschrieben wurde, verdeutlicht es, dass die Klage über die Jugend nicht neu ist, immerhin ist diese Dissertation selbst bereits über 100 Jahre alt (Quelle). Das Bild vieler Erwachsenen von jungen Menschen scheint also einer Art systematischer Verzerrung zu unterliegen und nicht besonders zuverlässig zu sein. Was wissen wir aber dann über die Jugend?

Generation X – Y- Z

Die Diskussion um die “Jugend von heute” ist, sofern sie über Klagen hinaus geht, stark geprägt von der Diskussion um die “Generation Y” und neuerdings die “Generation Z”.

Die Generation Y (>why<) soll die Generation derer sein, die zwischen den frühen 1980er Jahren und den späten 1990er Jahren geboren wurden. Sie gilt als eine Generation von gut ausgebildeten jungen Menschen, die nach Selbstverwirklichung und einer Arbeit voller Sinn suchen und sich dabei flexible Arbeitsbedingungen wünschen, damit sie Freizeit und Arbeit besser vereinbaren können (mehr bei wikipedia).

Die Generation Z soll dagegen die Generation der zwischen 1997 und 2012 sein. Während die Angehörigen, die der Generation Y angehören, erst im jungen Jugendalter mit digitalen Techniken in Berührung kam, waren Internet, Smartphones usw. für Generation Z von Anfang an präsent. Auch die Bedingungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt waren/sind für Generation Y und Z verschieden.

Vielleicht auch mit Blick auf die Erfahrungen, die die Generation Y mit flexiblen Arbeitszeiten gesammelt hat, heißt es von der Generation Z, dass diese daran wenig Interesse habe. Sie sehe darin vielmehr ein Einfallstor für viel (und ggf. unbezahlte) Arbeit und wolle eine klare Trennung von Arbeit und Freizeit (mehr bei wikipedia).

Sieht man sich die Informationen an, die zu den beiden Generationen verbreitet werden, fällt auf, dass es sich vor allem um Typisierungen für Marketing und Arbeitsmarkt halten: was wollen diese jungen Menschen kaufen, wie wollen sie arbeiten?

Hinzu kommt, dass der Blick auf diese Generationen selektiv ist: nicht alle angehörigen dieser Alterskohorte sind gleichermaßen von Interesse. In den Blick geraten vor allem die zukünftigen Führungskräfte und zahlungskräftigen Kund*innen. Der Jugendforscher Bernhard Heinzelmaier spricht deswegen von einem “Marketing-Gag der Berater-Branche”, die viel beschworenen Eigenschaften der Generation Y träfen “nur für eine kleine Minderheit des Alterssegments zu, nämlich auf die 15 Prozent der Arbeitsmarktelite. Das ist das Performer-Milieu der Leute, für die sich McKinsey interessiert. Die junge Frau an der Kasse vom Penny-Markt gehört nicht zur Generation-Y. Die sucht keinen Sinn bei ihrer Arbeit – da würde sie ja verrückt. Sie weiß, dass sie nie Karriere machen wird. Und die Frage nach der Work-Life-Balance stellt sich ihr auch nicht.” (Quelle)

Wenn sich aber nur schwer Aussagen über ganze Generationen machen lassen: was lässt sich dann sagen?

Herausforderungen des Jugendalters

Auch wenn Aussagen sich nicht auf alle Angehörigen einer Generation ausweiten lassen, gibt es etwas, dass junge Menschen einer Generation miteinander verbindet: sie sind zur gleichen Zeit Teil der Lebensphase Jugend. Diese mag nicht natürlich und ahistorisch sein, aber sie ist gegenwärtig fest institutionalisiert. Dabei ist sie zwar einerseits eine eigenständige und vollwertige Lebensphase – deren Zweck also nicht ein bloßer “Durchgang” ist – gleichzeitig ist Jugend aber auch ein “sozialer Integrationsmodus”. Und sie konfrontiert junge Menschen mit drei Kernherausforderungen: Qualifizierung, Selbstpositionierung und Verselbstständigung (15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung).

Diesen Herausforderungen begegnen die verschiedenen Generationen – zumindest hierzulande – vor einem gemeinsamen geschichtlichen Hintergrund. Es macht eben einen Unterschied, ob die eigenen Kindheit bereits vom Smartphone und Internet geprägt wurde oder ob diese erst im Jugendalter kennen gelernt wurden, ob während des Aufwachsens Krisen und Arbeitslosigkeit alltäglich sind oder kaum gekannt werden.

Die Grenze allgemeiner Aussagen über eine Generation liegen also nicht in deren gemeinsamen Erfahrungen, sondern in den Verschiedenheiten des Aufwachsens und den verschiedenen Wegen die Herausforderungen des Jugendalters zu bewältigen. Es macht eben auch dann einen Unterschied, ob man in Hamburg oder in Mansfeld-Südharz und wo dort genau aufwächst. Ob man als Mädchen*, Junge* Trans* oder Inter* groß wird. Ob die eigenen Eltern reich oder arm sind oder irgendwo dazwischen liegen. Ob man bei den Eltern aufwächst, oder einem Elternteil oder ganz wo anders. Oder man Geschwister hat oder nicht. Es macht einen Unterschied, auf welche Schulen man geht, welcher Jugendkultur man sich anschließt oder nicht, ob man Angebote der Jugend(verbands)arbeit vorfindet oder nicht usw. usf.

Und all das beeinflusst sich auch gegenseitig. Und zum Schluss gilt für junge Menschen genau wie für Erwachsene: sie sind Individuen, die vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und Wünsche, der an sie gestellten Herausforderungen und vor dem Hintergrund ihrer Möglichkeiten Entscheidungen treffen. Mal solche und mal solche. Deswegen lässt sich sinnvoll nur von Jugend in der Mehrzahl sprechen: eben von Jugenden (Albert Scherr).

Sie alle brauchen gute Rahmenbedingungen und die Jugendhilfe soll ihnen alle helfen zu “eigenständigen und gesellschaftsfähigen Persönlichkeiten” (§1 SGB VIII) zu werden, dazu muss aber im Blick behalten werden, dass solche Rahmenbedingungen eben nicht allen jungen Menschen gleich zur Verfügung stehen und ihnen die gleichen Möglichkeiten bieten.

Mehr zum Thema Jugenden findet sich übringens im gleichnamigen Eintrag von Albert Scherr in Albert Scherr (Hrsg.): Soziologische Basics – Einführung für Pädagogen und Pädagoginnen. VS Verlag für Sozialwissenschaften.